Offener Brief an meine Fraktionskollegin, Frau Ruhmann,
meine anderen Fraktionskollegen, an den Vorstand des CDU-Gemeindeverbandes
Ispringen, an die Kolleginnen und Kollegen des Ispringer Gemeinderates sowie
an die Verwaltung der Gemeinde Ispringen
Liebe Freunde, Kolleginnen und Kollegen!
Hiermit möchte ich Ihnen meinen Austritt aus der CDU und gleichzeitig aus der CDU-Fraktion des Ispringer Gemeinderates mitteilen.
Diese Entscheidung ist nicht persönlich gegen die Menschen gerichtet, mit denen ich über Jahre in der Fraktion und dem Vorstand des CDU-Gemeindeverbandes zusammen gearbeitet habe, und zwar sowohl in einem guten menschlichen Verhältnis wie auch im Sinne einer konstruktiven, am Wohl der Gemeinde Ispringen ausgerichteten Arbeit.
Ich habe diesen Schritt unternommen aus Gründen, die in der Bundes- und Landespolitik zu finden sind:
- Als Arzt sehe ich über Jahre schon eine verfehlte Gesundheitspolitik, schon vor Seehofer, dann unter ihm, weiter unter der rot-grünen Regierung Schröder, jetzt genauso unter dem Damen-Doppel Merkel-Schmidt. Ich nenne nur das Drama mit der elektronischen Gesundheitskarte, deren Nutzen für Patienten nicht bewiesen ist, und die unsere Arbeit extrem erschweren wird, abgesehen von den Kosten, die wie so oft bei politisch gewollten Vorhaben, sich gegenüber den ersten Schätzungen multiplizieren werden. Weiterhin der Gesundheitsfond, der außer von der schwarz-roten Regierung von niemandem positiv beurteilt wird. Nicht umsonst verlassen immer mehr Ärzte die Bundesrepublik in Richtung England oder skandinavische Länder - es geht nicht um mehr Geld, sondern um Planungssicherheit als Kleinunternehmer und Befreiung von bürokratischen Monstern. Gesundheitspolitische Entscheidungen werden nicht im Sinne der Patienten und der Handelnden im Gesundheitswesen getroffen, sondern zu Gunsten des Medizinisch-Pharmazeutisch-Industriellen Komplexes.
- Die über Jahre, ja, Jahrzehnte verfehlte Umweltpolitik sämtlicher Regierungen unter Führung beider heutiger Koalitionsparteien: Keine effektive CO2-Reduktion, kein Stopp des Flächenverbrauchs, keine effektive Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs.
- Über Jahre verfehlte Schul- und Bildungspolitik der CDU.
- Soziale Sicherung heißt nicht nur Geld, sondern auch Verantwortung und Kontrolle; keiner der mir bekannten Sozialpolitiker tritt standhaft für ein Sachleistungsprinzip ein, wobei Erfolge auf kommunaler Ebene durchaus aufzuweisen sind.
- Das unsägliche Hin und Her mit der Nichtraucher-Verordnung.
- Entscheidungen, die nur in einer Großen Koalition mit der entsprechend großen parlamentarischen Mehrheit möglich gewesen wären, werden hinausgeschoben, Entscheidungen mit erheblicher Bedeutung für die Zukunft unserer Kinder und unseres Landes, z.B. die Frage des Berufsbeamtentums mit den erheblich steigenden Versorgungskosten.
- Der leichtfertige Umgang der schwarz-roten Koalition mit dem Volksvermögen, als eklatantestes Beispiel die Privatisierung der Bahn, dazu auch das augenzwinkernde Einverständnis der Politiker mit hohen Bonuszahlungen an die Manager. Außerdem, die Hetze der aktuellen Politik gegen Managergehälter, Bonuszahlungen etc. erscheint mir pharisäerhaft. Viele Aufsichtsratsmandate in Banken (besonders Landesbanken, KfW, IKB) Energieunternehmen etc. werden von aktiven oder abgehalfterten Politikern besetzt.
- Die historische Naivität bzw. fehlende Sensibilität von führenden Köpfen der CDU für historische Tatsachen, z.B. Oettingers Filbinger-Rede, Mappus' Verhalten betr. der Wehrmachts-Ausstellung im Osterfeld - oder ist dies keine Naivität, sondern ein Fischen am rechten Rand des politischen Spektrums?
- Gute Ideen werden ohne Verzug mächtigen Lobbygruppen geopfert. Beispiele:
- der Umgang der CDU mit Prof. Kirchhof und seinem Steuermodell;
- ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wurde ganz schnell einer Allianz
aus ADAC und BILD-Zeitung zum Fraß vorgeworfen.
- Der jetzige Entwurf einer Steuerbegünstigung schadstoffarmer Pkws
ist eine Farce. Ein Smart wird mit ca. 40 € begünstigt, das
größte, schnellste und schwerste Monster von Audi mit ca. 1800
€ - und das soll eine "Klimakanzlerin" sein?
- Die Nachhaltigkeit unseres Rentensystems ist auf Grund des demographischen
Wandels nicht mehr gegeben. Was macht die CDU-SPD-Regierung? Bei Aufheulen
der BILD-Zeitung und verschiedener Rentner-Lobbygruppen gibt es sofort mehr
Geld - es ist ja egal, wie unsere Kinder mit den zukünftigen Lasten von prognostizierten 40 % Sozialabgaben fertig werden müssen. Übrigens, auch nächstes Jahr wird der Riester-Faktor ausgesetzt - es ist ja Wahljahr.
- Handwerklich schlecht gemachte Gesetze halten oft einer Überprüfung durch den Bundespräsidenten oder durch das Bundesverfassungsgericht nicht stand.
Generell gilt für diese Regierung: Entscheidungen werden nicht getroffen im Sinne der Nachhaltigkeit, sondern im Sinne des Machterhaltes. Unpopuläre Maßnahmen, auch wenn sie sinnvoll wären, scheut man wie der Teufel das Weihwasser.
All dies macht es mir unmöglich, weiter im Namen der CDU Stellung zu nehmen und Fragen unserer Mitbürger Stand zu halten. Auch eine weitere Mitgliedschaft in der CDU-Fraktion, so angenehm dort das Arbeiten war, würde mich mit verantwortlich machen für Dinge, die ich lange genug nur mit zusammengebissenen Zähnen ausgehalten habe.
Als Gemeinderat, selbst wenn ich als Parteiloser in einer parteipolitisch orientierten Fraktion Mitglied wäre, wird man immer mit der "Großen Politik" in Zusammenhang gebracht. Mir geht es einerseits um effektive Kommunalpolitik - das war in der CDU-Fraktion immer möglich, insbesondere, da es keinen Fraktionszwang bei Abstimmungen gibt - , andererseits aber auch darum, unbefangen meine Meinung zu Entscheidungen aus Berlin und Stuttgart sagen zu können.
Deshalb bitte ich meine Freunde von der CDU, diese meine Entscheidung als unumstößlich zu respektieren und mir persönlich nicht gram zu sein. Die neun Jahre in der Fraktion haben mir positive menschliche und Sacherfahrungen gegeben, die ich nicht missen möchte.
Andere Bundestagsparteien sind für mich ebenfalls nicht attraktiv - dafür die Gründe auszuführen, stehe ich gerne zu einem persönlichen Gespräch bereit. Außerdem möchte ich mir die Option als Wechselwähler offen halten.
Auch meine übrigen Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates möchte ich um Entschuldigung bitten. Ich stelle hiermit mein Ehrenamt als stellvertretender Bürgermeister zur Verfügung. Ich wurde unter Voraussetzungen gewählt, die so heute nicht mehr bestehen. Einer Neuwahl eines Bürgermeisterstellvertreters, wenn vom Gremium gewünscht, stelle ich mich nicht entgegen.
Ich danke Ihnen nochmals für das Vertrauen, das Sie mir damals bei meiner Wahl und in der Zeit der Vertretung des erkrankten Bürgermeisters geschenkt haben.
Dr. Wolfgang Ballarin